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Zwischen den Zeilen von Farbe und Schnee

  • 6. Nov.
  • 2 Min. Lesezeit

Ein Winterbesuch bei Wlastimil Hofman – und eine Familiengeschichte, die weiteratmet.


Heute stand ich in einer Ausstellung von Wlastimil Hofman.

Ich sah die vertrauten Pinselstriche, dieses weiche Licht, das Menschen nicht einfach malt, sondern sie begreift – so, wie man jemanden kennt, der einem nahe ist. Und plötzlich war da dieses leise Ziehen in mir, das man spürt, wenn Vergangenheit einen an der Schulter berührt.


Hofman, der große polnische Symbolist, lebte nach dem Krieg in Szklarska Poręba, in einem Holzhaus zwischen Bergen, Licht und Stille. Er war befreundet mit meinem Großvater, Włodzimierz Norenberg, Ingenieur und Hobby-Maler. Zwei Männer, die in einer zerbrochenen Welt auf ihre Weise nach Schönheit suchten.


Im Jahr 1962 malte Hofman meine Mutter – damals ein vierjähriges Mädchen mit hellem Haar und ernsten Augen. Das Bild hängt bis heute in unserer Familie. Ich habe es oft betrachtet, ohne zu wissen, dass es mehr ist als ein Familienporträt. Heute, nach dem Besuch in der Ausstellung, sehe ich in den Farbschichten das Echo jener Zeit: ein stilles Zeugnis von Freundschaft, von Überleben, von Vertrauen in das, was bleibt.


Meine Großmutter Anna – geboren in Krakau – lernte meinen Großvater dort kennen. Der Krieg trennte vieles, doch sie blieben verbunden. Als er nach dem Krieg nach Jagniątków zog, schrieb er ihr Briefe, fein, sorgsam, in einem Ton, der zwischen Sehnsucht und Hoffnung schwingt. Einer dieser Briefe liegt noch heute in unserer Familie. Auf vergilbtem Papier steht in seiner Handschrift: „Jagniątków, 17. März 1953.“ Der Umschlag trägt den Namen Ob. Anna Gigon – ihre Mädchenjahre, festgehalten in Tinte.


Kurz darauf folgte sie ihm.

In Pobiedna leitete sie das Waisenhaus im Schloss – ein Ort, an dem sie Nachkriegskinder aufpäppelte, wärmte, nährte. Das Schloss steht bis heute. Es ist entkernt, leer, aber die Mauern tragen noch den Klang ihrer Schritte. Der Park rundherum ist noch immer gepflegt, ummauert, wie ein stilles Herz aus vergangener Zeit. Dort, in diesem Park, züchtete mein Großvater Pfaue – ihr leuchtendes Gefieder war sein kleiner Widerspruch gegen die graue Welt nach dem Krieg. In der alten „Altanka“, einer offenen Holzlaube, malte er seine ersten Bilder.


Später zogen sie nach Szklarska Poręba. Ihr Haus – ein dunkelbraunes Holzhaus mit geschnitzten Ornamenten, die mein Großvater selbst entwarf – steht nur zweihundert Meter von der großen Kirche entfernt und etwa eineinhalb Kilometer vom Haus Wlastimil Hofmans. Es liegt im Dolina Szczęścia, dem Tal des Glücks. Ein Name, der schöner kaum klingen könnte für einen Ort, an dem meine Familie Wurzeln schlug.


Im Winter lag Schnee auf den Fenstersimsen, so dicht, dass alles gedämpft klang. Wenn ich heute das Foto sehe, erkenne ich darin nicht nur ein Gebäude – ich erkenne den Anfang unserer Familie.


Meine Großeltern, Anna und Włodzimierz, hatten in all dem Wandel der Nachkriegszeit etwas geschaffen, das blieb: eine Heimat.


Heute, in der Ausstellung, war mir, als hätte Hofman mir zugeflüstert:

„Das, was du hier siehst, ist nicht nur Malerei. Es ist Erinnerung.“


Und vielleicht ist genau das, was bleibt –

die leise Verbindung zwischen Kunst und Familie, zwischen Geschichte und Herz.



Ein Teil dieser Geschichte lebt weiter – in einem Gemälde, in alten Briefen, in einem verschneiten Haus im Tal des Glücks. Und vielleicht auch in uns, den Nachkommen, die weitertragen, was damals begann: das Vertrauen, dass Schönheit und Erinnerung stärker sind als Zeit.


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