Scheunen-Portraits #1 | Ein Gefühl wie Provence in Tauchritz
- MK
- vor 3 Tagen
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Aktualisiert: vor 2 Tagen
Wie aus einem Gefühl ein ganzes Lebenswerk wurde.
Wenn sie von früher erzählt, dann geschieht etwas in der Luft. Ihre Stimme hat dieses Leuchten, das Räume wärmer macht, selbst wenn draußen ein kühler Herbstwind durch die Bäume streift. Wir sitzen im Garten unter alten Bäumen, die ihre knorrigen Äste wie stumme Zuhörer ausbreiten. Über die Wiese schwebt noch der letzte Tau der Nacht, und obwohl der Lavendel längst verblüht ist, liegt sein Duft noch zwischen den Gräsern, als hätte er sich in die Erinnerung eingenistet.
In dieser stillen Szenerie beginnt ihre Geschichte. Keine große Geste, kein dramatischer Auftakt, nur ein Satz, leise gesprochen, fast wie ein Lächeln:
Ich wollte eigentlich nur sonntags Kuchen backen.
Was als leiser Wunsch begann, als Idee eines einfachen Sonntags-Cafés mit Blick auf den See, wurde zu einem Ort, der heute Menschen zusammenführt, Herzen berührt und Erinnerungen speichert. Ein Platz wie aus der Zeit gefallen, an dem Hochzeiten gefeiert, Sommerabende geteilt und Sehnsüchte still werden.
Ein Tor, das alles veränderte
Dann kam der Tipp. Ein Gutshof, irgendwo in der Lausitz. Am See, mit Herrenhaus, verwachsen, verschwiegen. Neugierig fuhren sie hin, sie und ihr Partner und als sie das alte eiserne Tor durchquerten, passierte etwas, das man mit Worten kaum einfangen kann

Wir fuhren durch das Tor und blickten über die Wiese. Die Sonne stand so tief, dass sie durch die Gräser schien und im Hintergrund sah mich die Scheune an. Die alten Steine. Die Ruhe. Diese Luft. Ein leichtes Vibrieren in der Luft, das man mehr spürt als sieht. Ich sagte: Roland, das ist wie in der Provence.
Die Scheunen lagen da wie schlafende Riesen, windgegerbt, geschunden von der Zeit, aber voller Würde. Und sie sah, was andere übersehen hätten: das Potenzial, das in diesen Mauern schlummerte, die Farben, die später durch jedes Detail des Hauses ziehen sollten, den Duft des Lavendels, der sich längst in ihr festgesetzt hatte..
Das Herrenhaus will ich nicht. Wir nehmen die Scheunen.
Ein Tisch im Gras und ein Bild, das viral ging
Ein Barockschloss - aber das war überhaupt nicht meins. Ich wollte unbedingt diese Scheune. Dieses Feeling von Natur, mit den alten Steinen und den großen Toren.
Bevor ich hierherkam, in die Region, hatte ich ein Café und zwar in einer alten Poststation. Das wollte ich hier wieder aufbauen.
Diese Vorstellung hat sie nie losgelassen: dass hier einmal Vieh untergebracht war. Dass zu DDR-Zeiten Tabak gelagert wurden, es Wäschekammern gab, kleine Parzellen für die Dorfbewohner.
So viel Leben hatte hier schon stattgefunden und so viele Geschichten lagen noch in der Luft.
Dann begannen sie, das erste Haus (die erste Scheune) instand zu setzen.
Sie war am besten erhalten. Ein Dach war noch drauf, der Innenraum trocken. Also gossen sie neuen Estrich, verlegten Fliesen und Holzböden. „Naja“, erzählt sie.
Ich habe aus Materialien aus der Umgebung einfach einen Tisch gebaut. Das war eigentlich der Anfang von allem.
Sie hatte Lavendel gepflückt, eine Tischdecke und ein paar Dekosachen von zu Hause mitgebracht. Im Garten, zwischen den hohen Gräsern, richtete sie einen Tisch her, mit Blick auf die alten Scheunen. Sie wartete, bis die Sonne günstig stand, und stellte ihr kleines Arrangement mitten in die Wiese. Mücken tanzten in der warmen Luft.
Das Foto lud sie bei Facebook hoch – und es ging viral.
Was als Landhauscafé gedacht war, wurde etwas viel Größeres.

Und sie postete es. Einfach so. „Kaffee & Kuchen“ stand drunter.
Der gemütliche Nachmittagskaffee hatte sich damit schnell erledigt. Denn: Eine Scheune in dieser Größe, mit rund 400 Quadratmeter, bietet ja ganz andere Möglichkeiten. Ein Teil wurde für die Küche und die Personalräume abgeteilt. Was blieb, waren etwa 280 Quadratmeter nutzbare Fläche - für Veranstaltungen, Hochzeiten, einfach alles, was geht: Theater, Musik, Tanz, Bandauftritte.
Und all das entstand aus diesem einen Bild.
Innerhalb kürzester Zeit standen Menschen vor der Tür. Fremde, Neugierige, Hungrige. Kuchenfreunde. Scheunenliebhaber. Hochzeitspaare. Und plötzlich war da nicht mehr nur ein Tisch im Gras, sondern ein ganzes Konzept im Werden.


Der erste Plan: zwei Ferienwohnungen, ein kleiner Gastraum, sonntags Kuchen.
Aber die Menschen kamen. Immer mehr. Und mit ihnen neue Ideen, neue Anforderungen, neue Wünsche.
Dann stand da einer und fragte: Können wir hier heiraten? Und ich dachte, warum eigentlich nicht?

Wir waren das erste Restaurant überhaupt am See
Es gab noch gar nichts: keinen Strand, keinen Hafen, keine Hotels. Es gab nur den See. Und der war gerade erst vollgelaufen, nachdem die Deiche gebrochen waren, am Witka-Stausee.
(Mehr zur Entstehung des Sees: alles-lausitz.de – Naturkatastrophe schuf einen See)
Die Scheune wird keine Ferienwohnung. Wir machen da was anderes draus. Und wenn’s nicht klappt, na ja, dann haben wir eben ’ne 400 Quadratmeter große Wohnung. Das hat Roland gesagt. Ich hab’s noch wie heute im Ohr.
Die erste Hochzeit kam. Dann viele weitere. Sie wollten diese Scheunenatmosphäre, den Vintage-Look, nicht modern, sondern verträumt und romantisch.
Das Schloss daneben war komplett zugewuchert, wie im Dornröschenschlaf.
Und plötzlich war da ein Hotel
Aus dem kleinen Traum wurde ein wachsendes Projekt.
Wir brauchen ein zweites Restaurant, hab ich zu Roland gesagt. Gegenüber, die Scheune. Die hat doch noch ein bisschen Dach. Und diese schönen Gewölbe drin… das war früher mal ein Schafstall. Ich fand, das hatte so viel Charme. Nicht nur die Bräute waren damals verzückt, ich war’s auch.
Diese Bauart, das, was die Menschen früher schon geschafft haben, mit so einfachen Mitteln. Ich hab eine Riesen-Ehrfurcht vor. Also hab ich gesagt: „Kannst du mir da nicht vielleicht ein zweites Restaurant reinbauen? Und da, wo das Dach noch in Ordnung ist, vielleicht eine Ferienwohnung?“
Das Projekt wuchs von der Idee zur kompletten Hotelanlage. Sie stellten die Anträge, reichten ihre Konzepte ein. Die Zahlen wurden geprüft, die Pläne durchleuchtet und am Ende wurde das Vorhaben bewilligt.
Hattet ihr professionelle Unterstützung dabei? „Ja. Wir hatten einen Berater, jemand der sich auf diese Branche spezialisierte, der genau wusste, worauf es ankommt."
Den Finanzplan stellte er auf Grundlage seines Wissens und der Erfahrung auf, die Roland als Hotelier bereits hatte.
Ihre eigenen Vorstellungen - die Atmosphäre, die Raumaufteilung, das Gefühl - gaben sie an den Architekten weiter. Und der übersetzte das Ganze in Maße, Grundrisse und Pläne.
Heute gibt es hier zwei Restaurants, 48 Zimmer, Veranstaltungsräume für bis zu 500 Gäste und ein Veranstaltungskalender, der sich manchmal wie ein Gedichtbuch liest: Tanz, Theater, Tagung, Torte.
Ein Ort, der mit dir spricht
Wenn man fragt, wie das alles gelingen konnte, antwortet sie nicht mit Zahlen oder Strategien. Sie spricht von Bildern. Von Momenten. Von Licht und Gerüchen.
Ich wollte einen Ort schaffen, der nicht laut sein muss, um etwas zu sagen.




Der Raum spricht mit dir. Ob du willst oder nicht.
Und sie meint das ernst. Wer mit offenen Augen über den Hof geht, spürt es. In der Luft liegt etwas Unausgesprochenes. Als würde der Ort selbst Geschichten erzählen.
Zwischen Euphorie und Erschöpfung
Natürlich war nicht alles einfach. Es gab Rückschläge. Sorgen. Überlastung. Und dann kam Corona, genau zur geplanten Hoteleröffnung.
Das war brutal. Aber Aufgeben war keine Option.
Was war die größte Herausforderung? Sie überlegt keine Sekunde.
Personal. Und das ist bis heute so, von Anfang an.
Aber die existenzielle Herausforderung, die kam später. Corona. „Wir hatten 2016 mit dem Bau des Hotels begonnen. Vier Jahre lang gebaut, geplant, alles vorbereitet.2020 wollten wir eröffnen und konnten es nicht. Corona kam. Kein Fest, keine Gäste, keine offizielle Eröffnung.“
Zwei Jahre lang blieb alles geschlossen. Kein einziges Zimmer wurde verkauft.
Wahnsinn. Das war ein Schock.

Sie hat durchgehalten. Weitergebaut. Weitergedacht. Und irgendwann, als alles wieder anlief, kamen sie zurück: die Gäste, die Brautpaare, die Tagungsgruppen. Und mit ihnen, die Dankbarkeit.
Ein bisschen Kunst, ein bisschen Wahnsinn
Man spürt sofort: In diesem Projekt steckt eine künstlerische Seele. Eine, die Licht sieht, bevor es fällt. Eine, die Blumen nicht nur pflückt, sondern komponiert. Eine, die Häuser streichelt, weil sie weiß, wie lange sie schon stehen.




Ich wusste gar nicht, dass es so etwas überhaupt gibt.
So beschreibt sie ihren allerersten Eindruck von Görlitz. Sie kam hierher, naiv, wie sie selbst sagt, mit der Vorstellung:
Die Mauer ist gefallen - also sieht es hier jetzt aus wie bei uns.
Was sie nicht wusste: 1990 hatte man tatsächlich darüber nachgedacht, die gesamte Altstadt von Görlitz abzureißen.
Das war mir überhaupt nicht bewusst. Und als ich das erfahren habe, dachte ich nur: Wahnsinn. Der Mauerfall war für Görlitz ein absoluter Segen. Sonst gäbe es diese Altstadt heute gar nicht mehr.
Von Görlitz hatte sie kaum ein Bild.
Dass hier über viertausendfünfhundert Baudenkmäler stehen, davon wusste sie nichts. Was sie sah, war eine Stadt im Dämmerzustand. Voller Geschichte. Voller Möglichkeiten.
Ich wusste nicht mal, dass es diese Stadt gibt.
Und dann kam dieser Moment: Sie steht plötzlich mittendrin.
Ich war völlig erschlagen. Von dieser Schönheit. Von den Häusern, den Landschaften, diesen Hügeln, dem Licht… einfach allem.
Und dann kam der Gedanke an das berühmte Zitat: „Blühende Landschaften“ und ich dachte: Die haben ja recht. So viel Landschaft, so viel Raum, so viel Potenzial.“
Nach dem ersten Besuch war für sie klar: „Hier bleibe ich!“
Davon wird man nicht satt – oder doch?
Ich hätte eigentlich Kunst studieren sollen. Ich wollte das. Aber man hat mir damals gesagt: davon wird man nicht satt.

Heute zeigt sie mit jedem Bild, jedem Raum, jeder Geste, dass Kunst nicht an der Staffelei beginnt, sondern im Herzen. Und dass Visionen manchmal einfach nur einen Ort brauchen, der ihnen erlaubt, zu wachsen.
Kissen unter die "Futt"
So ein Riesending zu bewirtschaften - das war von Anfang an eine Herausforderung.
Bis zu 35 Mitarbeitende, acht Nationen, viele ohne Deutschkenntnisse. „Du musstest ständig vermitteln, Kulturen verbinden, das war Wahnsinn.“
In Görlitz war das schwer vorstellbar.„ Ich wurde als ‚Wessi‘ beäugt. Ich wusste gar nicht, dass es so ein Denken wirklich gibt.“
Fremdenfeindlichkeit, Misstrauen - etwas, das sie aus ihrer Heimat nicht kannte.
Das hat mich tief getroffen.
Wie sie das überstanden hat?
Fleiß.
Ein Wort, ohne Zögern. „Ich habe gebacken, wenn andere geschlafen haben. Tagsüber Gäste, nachts in der Backstube. 14-Stunden-Tage waren normal.
Jeden Tag habe ich ihnen die Kissen unter die "Futt" geschoben.
Ein Satz, der hängen bleibt.
Nicht laut, nicht stolz aber mit dieser stillen Kraft, die den Kern ihrer Geschichte ausmacht. Mit der Zeit kamen die ersten Stammgäste, leise, treu, verlässlich.
Ihre liebsten waren die kleine, herzliche Damenrunde aus Tauchritz.
Jeden Sonntag, pünktlich um halb drei, kamen sie zu Fuß, mit Gehwägelchen oder Stock den Weg entlang, um gemeinsam Kaffee zu trinken.
Eine kleine, herzliche Runde. Ein Herr war auch immer dabei.
Heute lebt niemand von ihnen mehr. Doch die Erinnerung ist geblieben, still, aber lebendig.
Am See hängt noch immer ein kleines, wettergegerbtes Schild. Darauf steht in krakeliger Schrift:
14:30 Uhr - Omis abholen.
Es hängt dort, wo es immer hing und darf nicht entfernt werden. Es ist ihr stilles Heiligtum. Ein Gruß an die Vergangenheit. Ein Dank an jene, die da waren, als alles begann.
Und heute?
Der Heimatverein war bei Veranstaltungen immer eingeladen, genau wie viele andere aus dem Ort. Und auch umgekehrt war man Teil der Gemeinschaft.
Ihr Mann zum Beispiel, bewacht jedes Jahr mit den Dorfbewohnern den Maibaum. Mit allem, was dazugehört: Lagerfeuer, Gespräche, Schnaps. Bis morgens. Und manchmal so lange, bis er kaum noch geradeaus schauen kann.
Ein Lächeln huscht ihr über das Gesicht, wenn sie das erzählt. Es ist genau diese Mischung aus Nähe, Respekt und ehrlichem Mitmachen, die das Verhältnis zum Dorf so besonders macht.
Heute ist die Scheune kein Projekt mehr. Sie ist ein Zuhause. Für Gäste. Für Ideen. Für Erinnerungen. Und für neue Pläne. Es gibt Veranstaltungen für die Generation Ü40, Retreats, Tagungen, Feiern. Die Räume wachsen mit den Bedürfnissen.
Ich denke oft: Ich wollte doch nur Kuchen backen. Und jetzt das.
Was bleibt
Es ist ihr Herzblut.
Auch wenn sie es nicht besitzt, die Scheune gehört offiziell Roland, ist sie es, die jeden Stein kennt, jede Ecke trägt ihre Spuren.
Es ist mein Baby. Meine Stunden. Mein Schweiß. Meine Tränen. Mein Verzicht.
Was sie zurückbekommt, ist mehr als ein Ort. Es sind diese seltenen, stillen Momente - wenn sie morgens um fünf aus einer durchgearbeiteten Nacht kommt.14, manchmal 16 Stunden liegen hinter ihr.
Der Körper leer, die Füße schwer, der Kopf rauscht.
Und dann setzt sie sich einfach zehn Minuten in den Garten. Alle sind längst verschwunden. Die Gäste schlafen. Es ist still. Nur sie und dieser Ort.
Die kühle Morgenluft, der Duft von feuchtem Gras, die ersten Vogelstimmen. Bäume, die nicht sprechen, aber dennoch etwas sagen. Ein Flüstern, leise, fast wie eine Umarmung.
Da sitzt du da und denkst: Du kommst gerade aus dem Urlaub.
Es ist unbeschreiblich, sagt sie. Man muss es erleben. Und sie glaubt fest daran, dass der Ort das spürt. Dass die Steine wissen, wer sie berührt. Dass das alte Gemäuer versteht, wie viel Ehrfurcht in jeder ihrer Bewegungen liegt.
Und vielleicht - flüstert die Scheune deshalb auch manchmal zurück.

Dies war das erste Porträt der neuen Serie „Scheunengespräche & Porträts“.
Hier erzählen Menschen, wie aus Ideen Lebenswerke werden. Wie Räume entstehen, die nicht nur Raum geben, sondern Haltung.
Wenn du ein solches Projekt realisiert hast oder gerade auf dem Weg bist, einen besonderen Ort zum Leben zu erwecken, schreib uns:
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Wir freuen uns auf deine Geschichte.
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Instagram: @scheuneleben
Du möchtest den Ort selbst erleben?
Dann komm vorbei. Spür das Licht. Riech den Lavendel. Und hör der Scheune zu. Sie hat dir etwas zu sagen.
Am Wasserschloss 2
02827 Görlitz
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